Mitgefühl („Jihi“) ist in der ZEN-Praxis von zentraler Bedeutung. Es ist nicht nur ein ergänzender Aspekt, sondern eine unverzichtbare Ausdrucksform des Erwachens und der Achtsamkeit. Obwohl ZEN oft als eine eher nüchterne Praxis wahrgenommen wird, die sich auf Meditation und Einsicht konzentriert, ist Mitgefühl ein natürlicher und essentieller Bestandteil des Weges.
Warum ist Mitgefühl so wichtig in der ZEN-Praxis?
Erkenntnis der Verbundenheit
ZEN lehrt, dass alle Dinge und Lebewesen miteinander verbunden sind. Diese Einsicht in die Interdependenz (japanisch: „Engi“, „abhängiges Entstehen“ oder „gegenseitige Bedingtheit“) führt dazu, dass Mitgefühl auf natürliche Weise entsteht. Wenn wir die Trennung zwischen „ich“ und „du“ überwinden, wird das Leiden anderer zu unserem eigenen.
Praktische Verwirklichung von Einsicht
ZEN betont, dass spirituelle Erkenntnis nicht nur theoretisch, sondern auch im Handeln verwirklicht werden muss. Mitgefühl ist die Verkörperung dieser Einsicht im täglichen Leben. Es zeigt sich in freundlichen Worten, unterstützenden Taten und der Fähigkeit, präsent zu sein, wenn andere leiden.
Ausgleich von Weisheit und Mitgefühl
Im Mahayana-Buddhismus, aus dem ZEN entsprungen ist, gelten Weisheit („Prajna“) und Mitgefühl („Karuna“) als zwei Flügel eines Vogels. Beide sind notwendig, um den Weg des Erwachens vollständig zu gehen. Mitgefühl ohne Weisheit kann fehlgeleitet sein, während Weisheit ohne Mitgefühl kalt und leer bleibt.
Selbstmitgefühl
ZEN betont auch, dass echtes Mitgefühl mit uns selbst beginnt. Durch die Praxis der Meditation lernen wir, uns selbst mit Freundlichkeit und Akzeptanz zu begegnen. Dieses Selbstmitgefühl schafft die Grundlage dafür, dass wir anderen mit echtem Mitgefühl begegnen können.
Mitgefühl in der ZEN-Praxis:
Meditation:
Während der Sitzmeditation („Zazen“) entsteht Raum, in dem Mitgefühl wachsen kann. Es zeigt sich in der Bereitschaft, uns selbst und andere so anzunehmen, wie wir sind, ohne zu urteilen.
Achtsames Handeln:
ZEN ermutigt dazu, jede Handlung mit Achtsamkeit und Mitgefühl auszuführen, sei es das Zubereiten von Essen, die Arbeit oder der Umgang mit anderen.
Engagement im ZEN:
Viele ZEN-Praktizierende setzen sich aktiv für soziale Gerechtigkeit, Umweltschutz oder die Unterstützung Bedürftiger ein. Dies ist Mitgefühl in Aktion.
Koans:
Viele ZEN-Geschichten und -Übungen („Koans“) fördern das Verständnis für Mitgefühl, oft auf subtile und unerwartete Weise.
Fazit:
Mitgefühl ist in der ZEN-Praxis keine bloße Tugend, sondern ein Ausdruck des Erwachens selbst. Es ist die natürliche Konsequenz eines klaren, wachen Geistes, der die Verbundenheit allen Lebens erkennt. Durch Mitgefühl wird ZEN zu einer lebendigen und heilenden Praxis, die sowohl das eigene Leben als auch das der Welt bereichert.
Weisheit vom Nichtwissen
Das Bewusstsein des Nichtwissens ist der Anfang des Zweifels, der zur Weisheit führt.